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Schlauchliner: Ringspalt und Standsicherheit

21.10.2021

Das Thema eines zu großen Ringspalts bei Schlauchlinern wird seit einiger Zeit in der interessierten Fachwelt kontrovers diskutiert. Dabei geht es sowohl um die Ursachen für die Ringspalte als auch um die Auswirkungen auf die Standsicherheit der Liner. Der Aufsatz von Markus Vogel [1] in der Kongressausgabe zum Schlauchlinertag 2018 beschreibt u. a. verschiedene Einflüsse auf die Entstehung eines Ringspalts. Außerdem wird im Aufsatz in einem relativ eigenständigen Teil eine Bewertung der Spaltbildung hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Statik versucht. Hier werden Rechenbeispiele vorgestellt, die einer Kommentierung bedürfen. Im folgenden Fachbericht erfolgt eine systematische Annäherung an das Thema. Die möglichen Ursachen für die Spaltbildung werden benannt und hinsichtlich ihres Potenzials eingeordnet. Auf dieser Grundlage können die Auswirkungen auf die Standsicherheit der Liner quantitativ erfasst werden.

Bild
Ringspaltbeitrag

Bild 1: GFK-Liner bei der Aushärtung

Ursachen für ausgeprägte Ringspalte

Das DWA-Arbeitsblatt A 143-2 [2] gibt in Tabelle 5 als Standardwert für Schlauchliner eine Größe des Ringspalts von 0,5 % an. Das heißt, Schlauchliner werden planmäßig mit Ringspalt hergestellt. Ein umlaufender Spalt von 0,5 % des Radius ist die Regelausführung. Ein Ringspalt dieser Größe ist stets in den Statiken zu berücksichtigen. In Standsicherheitsnachweisen darf das Anliegen des Liners an das Altrohr nur in begründeten Ausnahmefällen als günstiger Einfluss angesetzt werden.

Mit dieser Festlegung werden im Regelwerk die verschiedenen
Einflüsse auf die Entstehung der Ringspalte pauschal berücksichtigt. Im Wesentlichen sind das

  •  die werkstofflichen bzw. technologischen Einflüsse im Zuge der Aushärtung, d. h. Reaktionsschrumpf und Verkürzung durch abfließende Reaktionswärme
  • der designabhängige Einfluss der Dehnfähigkeit des Liners im M-Zustand und
  • der Einfluss von Herstellern und Planern bei der Festlegung des Untermaßes des Liners im M-Zustand.
Bild
Ringspaltbeitrag

Bild 2: GFK-Liner im M-Zustand

Das Potenzial der einzelnen Einflüsse auf die Spaltbildung im Verhältnis zur Größe des planmäßigen Ringspalts wird in den folgenden Punkten beschrieben. 
In der Produktnorm DIN EN ISO 11296-4 [3] bzw. im entsprechenden DWA-Regelwerk [4,5] finden sich im Übrigen keine Anforderungen an Liner im M-Zustand, um die Ausprägung des Ringspalts zu begrenzen. Die o. g. Einflüsse werden aktuell normativ nicht beschrieben oder in irgendeiner Form begrenzt. 

Reaktionsschrumpf

Mit der Aushärtung der Schlauchliner kommt es aufgrund der Vernetzung des Duroplasts zu einer Volumenabnahme des Harzes. Der Umfang schwankt deutlich und ist abhängig vom Harztyp und den Füllstoffen. Die Volumenabnahme kann mehr als 5 % betragen. 
Das ist offensichtlich eine Größenordnung, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Entstehung des Ringspalts zu bewerten ist. Eine Verkürzung des Liners ist mit der Schrumpfung des Harzes erst verbunden, nachdem das Harz eine bestimmte Zugfestigkeit ausgebildet hat.

Nur so kann der sogenannte Zwang, also die Verformungsbehinderung, überwunden werden. Denn während der Aushärtung steht der Liner unter Innendruck, der einer Verkürzung entgegenwirkt. Außerdem behindern die Fasern, besonders die Glasfasern, die Schrumpfung. Der überwiegende Anteil der Volumenabnahme entsteht beim Übergang von der viskosen in die starre Phase, d. h. in einem Zeitraum, in dem praktisch noch keine Zugfestigkeit vorhanden ist. Zur Verdeutlichung: Eine Volumenabnahme führt bei viskosen Stoffen, die flächig aufliegen, nur zur Reduzierung der Dicke, nicht zur Verkürzung. So wird beispielsweise eine Harzschicht, die auf eine Fläche gegossen wird, während der Aushärtung aufgrund der Verformungsbehinderung durch Reibung im Wesentlichen nur dünner.
Bisher haben die deutschen Hersteller von Schlauchlinern keine systematischen Untersuchungen zum Reaktionsschrumpf von Linern unter Innendruck durchgeführt. Aber vor dem Hintergrund der beschriebenen Zusammenhänge ist von einem Schrumpf auszugehen, der stets sehr wahrscheinlich deutlich unter 0,5 % liegt.

 

Verkürzung bei abfließender Reaktionswärme

Schlauchliner entwickeln während ihrer Aushärtung Reaktionswärme. Das führt dazu, dass der ausgehärtete und zugfeste Liner am Anfang deutlich wärmer ist als im Betrieb. In der folgenden Abkühlung verkürzt er sich entsprechend. Die Reaktionswärme ist wiederum harzab-hängig. Üblicherweise liegen die Temperaturen während der Aushärtung zwischen 80 und 120 °C (Bild 1). Selbstverständlich unterscheiden sich die Wärmeausdehnungskoeffizienten der Liner in Abhängigkeit vom verwendeten Fasermaterial und vom Harz. Um mit einfachen Zahlen zu rechnen und eine Größenordnung abzuschätzen, können ein Koeffizient von 10 · 10-6 K-1 und eine Temperaturdifferenz von 100 K angenommen werden.
Mit diesen beiden Kennwerten ergibt sich eine Verkürzung der Liner bei abfließender Reaktionswärme um 0,1 %. Das entspricht einem Ringspalt von 0,1 % des Radius. 

Offensichtlich ist der für Schlauchliner standardmäßig angenommene Ringspalt von 0,5 % größer als die Summe aus Reaktionsschrumpf und Verkürzung bei abfließender Reaktionswärme. Der Ansatz im DWA-Arbeitsblatt A 143-2 berücksichtigt ein gewisses Untermaß der Liner im M-Zustand, das nicht vollständig durch die Dehnfähigkeit des Liners ausgeglichen wird (Bild 2).

Dehnfähigkeit und Untermaß

Schlauchliner werden planmäßig mit Untermaß hergestellt, um Faltenbildung zu verhindern. Das Untermaß ist abhängig von den Nennweiten und schwankt beispielsweise bei der SAERTEX multiCom® GmbH nach eigenen Angaben zwischen 1 und 4 % des Durchmessers. Diese Größenordnung kann als einigermaßen typisch für Liner mit Glasfasern gelten. Das tatsächliche Untermaß bei der Installation kann sich davon natürlich unterscheiden, denn auf die oft ungenügende Vermessung der Altrohre wurde bereits in o. g. Aufsatz verwiesen.

Die Dehnfähigkeit von Linern im M-Zustand ist ebenfalls unterschiedlich. Liner mit Synthesefasern sind denen mit Glasfasern in dieser Hinsicht naturgemäß überlegen. Innerhalb der Glasfaser (GF)-Liner entscheidet das konkrete Design über die Dehnfähigkeit. Es steckt sehr viel produktspezifisches Know-how in der richtigen Balance zwischen hoher Steifigkeit durch einen großen Glasanteil und gleichzeitig ausreichender Dehnfähigkeit.
Die SAERTEX multiCom® GmbH gibt für ihre GF-Liner Dehnfähigkeiten zwischen 2 und 4 % an. Insofern sind bei genauer Vermessung der Altrohre die Standardannahme des DWA-Arbeitsblatts A 143-2 [2] zum Ringspalt zutreffend.
In welchem Maße die Standsicherheit der Liner sinkt, wenn die Ringspalte größer sind, wird nachfolgend dargestellt.

 

Auswirkungen größerer Ringspalte auf die Standsicherheit

Die folgenden Ausführungen behandeln GF-Liner, weil diese aufgrund ihrer geringeren Dehnfähigkeit eher zu größeren Ringspalten neigen als Liner mit ausschließlich Synthesefasern.
Bekanntlich wird die überwiegende Zahl der Schlauchliner in den Altrohrzuständen I und II eingebaut. Damit ist nach dem DWA-Arbeitsblatt A 143-2 [2] der Stabilitätsnachweis gegenüber einem tatsächlichen oder nur rechnerisch anzunehmenden äußeren Wasserdruck bemessungsrelevant.
In den Berechnungen zum Beulwiderstand wird der sogenannte kritische Beuldruck für den ideal runden Liner durch das Produkt aus drei Abminderungsfaktoren reduziert, die folgende Einflüsse berücksichtigen:

  • die ortliche Vorverformung (strukturelle bzw. geometrische Imperfektion) mit Kv
  • die Ovalisierung mit KGR,v
  • die Spaltbildung mit Ks.

Für die üblichen Berechnungen im Altrohrzustand II gibt es neben der zuvor genannten Standardannahme zum Ringspalt (ωs = 0,5 %) auch Standardannahmen zur Imperfektion (ωv = 2 %) und Ovalisierung (ωGR,v = 3 %). Im Ergebnis wird der Beuldruck mit dem Produkt aus κv= 0,55, κ = 0,73 und κs = 0,64, d. h. auf 26 % abgemindert (Tabelle 1). Diese Abminderungsfaktoren sind im DWA-Arbeitsblatt A 143-2 in den Diagrammen 8, 9 und 10
beschrieben. Die hier genannten Zahlenwerte für die Faktoren beziehen sich auf eine typische Schlankheit von GF-Schlauchlinern von r/t = 50.  

Das Spaltmaß hat einen großen Hebel hinsichtlich der Beulsicherheit der Liner. Bei einer Verdopplung des Ringspalts von den standardmäßigen 0,5 % auf 1,0 % verringert
sich der o. g. Abminderungsfaktor κs auf 0,48, d. h. auf etwa 75 %. Bei einem Ringspalt von 2,0 % halbiert sich der Faktor. Das liegt daran, dass äußerer Wasserdruck aufgrund des Druckgefälles über die Höhe der Liner zu einer Ovalisierung führt. Bei größeren Ringspalten sind größere Ovalisierungen möglich, bevor der Liner seine Bettung in den Kämpfern findet. Stärker ovalisierte Liner beulen früher.

Es ist allerdings so, dass die Abnahme an Beulsicherheit aufgrund größerer Ringspalte wenigstens teilweise von anderen Effekten kompensiert wird. Dieser Aspekt wird in den aktuellen Diskussionen zumeist ausgeblendet und hier anhand eines Rechenbeispiels diskutiert. Das Konzept des Arbeitsblatts DWA-A 143-2 mit den o. g. Abminderungsfaktoren vereint das komplexe Zusammenspiel verschiedener Einflüsse auf den Beulwiderstand. Die Berechnungsansätze sind teilweise empirisch begründet und dann notwendigerweise in ihren Modellannahmen etwas unsauber. So ist es beispielsweise nicht plausibel, dass für die Liner trotz der Annahme eines umlaufenden Ringspalts, der über Reaktionsschrumpf und Wärmedehnung hinausgeht, dieselbe Ovalisierung anzusetzen ist, wie für das Altrohr. Während der Aushärtung unter Innendruck wird der Liner versuchen, den zur Verfügung stehenden Ringraum möglichst effektiv für eine idealrunde Form zu nutzen. Im Ergebnis ist die Ovalisierung des Liners bei vorhandenem Ringraum stets geringer als die des Altrohrs.

Tabelle 1

Ausgangswerte (Ringspalt mit Standardwert, ωs= 0,5 %

κs s = 0,5 %)

κGr,v GR,v = 3,0 %)

κvv = 2,0 %)

Produkt κv,s

0,64

0,73

0,55

0,26

 

Werte bei Ringspalt ωs = 1,0 %)

κs s = 1,0 %)

κGr,v GR,v = 2,5 %)

κvv = 1,0 %)

Produkt κv,s

0,48

0,77

0,71

0,26

Die Wechselwirkungen zwischen den drei o. g. Einflüssen auf den Beulwiderstand sind im Arbeitsblatt DWA-A 143-2 [2] nicht beschrieben. Allerdings ist es offensichtlich, dass mit einer Erhöhung des Ringspalts andere geometrische Einflüsse auf die Beulsicherheit der Liner reduziert werden. Ein zunehmender Ringspalt führt zur Verringerung von Imperfektion und Ovalisierung, da der Liner sich unter Innendruck vor der Aushärtung weiter der idealrunden Form annähern kann.
Es erscheint daher logisch, dass die Vergrößerung des Ringspalts auf die anderen beiden Einflüsse angerechnet wird. Eine Erhöhung des umlaufenden Ringspalts von 0,5 % auf 1 % entspricht einer Reduzierung der geometrischen Imperfektion von 1,5 % auf 0,5 %. (Der
Standardwert von 2 % besteht aus 0,5 % struktureller und 1,5 % geometrischer Imperfektion.) Gleichzeitig wird das Maß der Ovalisierung von 3 % auf 2,5 % des Radius verringert.
In Tabelle 1 sind diese Zusammenhänge beispielhaft für eine Vergrößerung des Ringspalts von 0,5 % auf 1,0 % mit Zahlenwerten für die Abminderungsfaktoren dargestellt. Die Abminderung des Beulwiderstands erfolgtfür die Liner mit kv,s, dem Produkt aus den einzelnen Faktoren.
Es wird deutlich, dass sich im vorliegenden Fall die einzelnen Einflüsse ausgleichen. Eine Vergrößerung des Ringspalts führt in den Berechnungen nicht zu einer Reduzierung der Beulsicherheit des Liners. Diese grundsätzliche Aussage kann ungeachtet der konkreten Zahlenwerte als typisch angesehen werden. Die zuweilen pauschal geäußerte Meinung, Ringspalte in Größen über den Standardansätzen des Arbeitsblatts DWA-A 143-2 [2] reduzieren
drastisch die Standsicherheit der Liner, ist nicht haltbar. Es ist im Zweifelsfall eine qualifizierte Bewertung des Einzelfalls erforderlich.
Diese Aussage gilt ungeachtet anderer Probleme, die mit
zu großen Ringspalten verbunden sein könnten.

Danke an Dr.-Ing. Ricky Selle (Selle Consult GmBH) und die 3R für die Zurverfügungstellung des Beitrags.

Literatur

[1] Markus Vogel: Schlauchlining – Alles easy oder was? Kongressausgabe Schlauchlinertag 2018, B_I umweltbau

[2] DWA-A 143-2 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden – Teil 2: Statische Berechnungen zur Sanierung von Abwasserleitungen und -kanälen mit Lining- und
Montageverfahren“ (2015-07)

[3] DIN EN ISO 11296-4 „Kunststoff-Rohrleitungssysteme für die Renovierung von erdverlegten drucklosen Entwässerungsnetzen (Freispiegelleitungen) – Teil 4: Vor Ort härtendes Schlauch-Lining“ (2018-09)

[4] DWA-A 143-3 „Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden – Teil 3: Vor Ort härtende Schlauchliner“ (2014-05)

[5] DWA-M 144-3+E1+E2+E3+E4+E5 „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen (ZTV) für die Sanierung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden – Teil 3: Renovierung mit Schlauchliningverfahren (vor Ort härtendes Schlauchlining) für Abwasserkanäle“ (2018-12)